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DenkMal Philosophisches Café am 7. September 2018Thema:
Vereindeutigung versus Komplexität
In Deutschland ist der Vogelbestand seit 1800 bis heute um
80 Prozent zurückgegangen. Noch schlechter als den Vögeln geht es den Insekten.
(Thomas Bauer)
Alles, was interpretiert und gedeutet werden mus,s ist nicht
mehr rein. (Thomas Bauer)
Wenn Ambiguitätstoleranz verschwindet, dann verliert
Religion ihre Mitte, also den durch Zweifel domestizierten Glauben an etwas
Transzendentes im Bewusstsein, dass Glauben kein sicheres Wissen vermittelt.
Und dann verliert Religion auch die Gewissheit, dass religiöse Texte interpretiert
werden müssen, um Antworten zu finden, die aber nur Wahrscheinlichkeit und
vorübergehende Gültigkeit für sich beanspruchen können, nie jedoch absolute
Wahrheit. (Thomas Bauer)
Bei uns dominiert aber ein anderes Genre die Literatur über
die Maßen: der Krimi. Gegenstand eines Krimis ist aber nicht die Herstellung von
Ambiguität, sondern zumeist seine Auflösung. (Thomas Bauer)
In Gesellschaften, in denen Ambiguität tendenziell als
unangenehm empfunden wird, werden sich Menschen, die sich unwohl fühlen, wenn
sie mit zweideutigen Situationen konfrontiert werden, Angebote der Vermeidung
von Zweideutigkeit tendenziell eher annehmen und bei erfolgreicher
Mehrdeutigkeitsvermeidung nach noch mehr Vereindeutigung streben. Ein Symptom
hierfür ist der allgemeine Erklärungs- und Verstehenswahn. Alles muss geklärt,
alles soll verstanden werden, und wenn man etwas nicht versteht, gilt es
nichts. […] Da alle zu allem eine Meinung haben, wächst das Misstrauen
gegenüber der Wissenschaft. (Thoma Bauer)
Nur die bunte Welt des Konsums versorgt uns noch mit einer
Fassade der Vielfalt, der Fassade einer Scheinvielfalt allerdings, hinter der
sich ein ewiggleiches Einerlei an billigen Sinnesreizen für raschen Augen-,
Ohren- und Gaumenkonsum verbirgt. (Thomas Bauer)
[…], dass die moderne Gesellschaft in ihrer ganz eigenen
Form der Komplexität davon geprägt ist, dass es keinen Ort gibt, von dem her
man sie konkurrenzlos und gültig beschreiben kann. Mehr noch: Sie kennt keinen
Ort, der es ermöglicht, auf die Gesellschaft zuzugreifen. Man kann auch nicht
durchregieren, man muss vielmehr lernen, dass sich die Gesellschaft dem
regulierenden Zugriff schon deswegen entzieht, weil Unterschiedliches
gleichzeitig abläuft und nirgendwo ein Hebel zu finden ist, von dem her sie
wirklich beeinflusst werden kann. (Armin Nassehi)
Die Folge ist ein Kulturkampf um sagbare Sätze. (Armin
Nassehi)
Erst eine Diagnose, die nicht Wahrheiten im Sinne unterstellter
Kausalität formuliert, wird in der Lage sein, eine realistische Diagnose und
Strategie anzubieten, und sie wird auch zeigen können, dass es umgekehrt die
klassischen Diagnosen der fehlenden Gemeinschaft oder der fehlenden Einsicht
oder des angemessenen Umbaus sind, die sich davon entlasten, sich Komplexitätsfragen
zu stellen – als Fragen, die Alternativen nicht einfach anbieten, sondern stets damit rechnen, dass
ein komplexes System anders reagiert, als wir es antizipieren. (Armin Nassehi)
Literatur:
Thomas Bauer (2018). Die Vereindeutigung der Welt. Über den
Verlust an Mehrdeutigkeit und Vielfalt. Stuttgart: Philipp Reclam jun.
Armin Nassehi (2017). Die letzte Stunde der Wahrheit. Hamburg:
Sven Murmann.
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DenkMal Philosophisches Café am 3. August 2018Thema:
Genuss verlangt erwachsene Kompetenzen
Erwachsenheit:
Diese Haltung bedeutet, manche Unannehmlichkeiten oder Übel ebenso als
notwendige Begleiterscheinungen des Lebens zu erkennen wie die eigenen
Möglichkeiten, sie zu ertragen oder zu überwinden. (Robert Pfaller)
Durch
Ermunterung zur Empfindlichkeit hat sie
[Pseudopolitik] Menschen infantilisiert. Dadurch aber hat sie sie auch
entsolidarisiert. (Robert Pfaller)
In der
postmodernen >Toleranz<. wird jedem Individuum das uneingeschränkte Recht
zugestanden, ein völliger Idiot zu sein. (Robert Pfaller)
Man warnt
Erwachsene vor Erwachsenensprache, vor bösen Witzen, vor sachhaltiger
Argumentation, die als verletzend empfunden werden könnte, vor Dissens ebenso
wie vor Tabakkultur, rät ab von Stöckelschuhen oder Röcken und Blusen, empfiehlt
geschlechtsneutrale Schlabberkleidung, geschlechtsspezifische Berufstitel,
gendergerechte Sprache, entweder dritte Toilettentüren oder die Abschaffung der
zweiten, verbietet Parfüms, verächtliche Worte und elementare Gesten der
Höflichkeit wie das Aufhalten von Türen für Nachkommende. (Robert Pfaller)
Wenn aber
nicht mehr gefeiert werden darf, wenn sämtliche >positiven
Kulthandlungen<., in denen das Närrische, Heitere, Ausgelassene, Frivole etc.
zu seinem Recht kommen und gewürdigt werden darf, durch Verinnerlichungen,
Verbote und asketische, >negative<. Kulte ersetzt werden, dann zeigt sich
alles Heilige in dieser Kultur, sogar das >Heilige des Alltagslebens<,
nur noch von seiner abstoßenden, schmutzigen Seite – als jenes >schmutzige
Heilige<., dessen Begriff Freud im ambivalenten Wort >tabu< erkannte.
(Robert Pfaller)
Solange alle
nur darüber nachdenken, was sie sein wollen, kommen sie nicht mehr dazu, zu
überlegen, was sie haben wollen. (Robert Pfaller)
Die Regeln
der Kultur sind keine Verbote; sie verbieten den Individuen nichts, sondern sie
gebieten ihnen vielmehr das, was diese sich selbst von sich aus niemals erlauben
würden. Genau dazu benötigen wir die Gebote der Kultur – als Ermöglichungsbedingungen
von Lust, als Lustressourcen; denn – wie Freud in seiner Theorie der
vielfältigen und konfliktuellen Sexualtriebe erkannte – gehemmt sind wir
selber. (Robert Pfaller)
Die
Werbewirtschaft zielt genau auf diesen Konsumenten ab, der im Konsum von
Massenware seine Identität findet. […] Die kapitalistische Wirtschaftsweise
braucht also weniger das autonome als vielmehr das authentische Selbst. (Thomas
Bauer)
Literatur:
Thomas Bauer
(2018). Die Vereindeutigung der Welt. Über den Verlust an Mehrdeutigkeit und
Vielfalt. Stuttgart: Reclam Robert
Pfaller (2017). Erwachsenensprache. Über ihr verschwinden aus Politik und
Kultur. Frankfurt am Main: Fischer.
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DenkMal Philosophisches Café am 6. Juli 2018Thema:
Empfindlichkeitskultur
Empfindlichkeit: Das Ausmaß an Ansprechbarkeit für
Außenwelteinflüsse. Man teilt sie oft ein in Sensitivität (Empfindlichkeit
gegenüber einem Reiz) und Sensibilität (Empfindlichkeit gegenüber
Reizunterschieden). Im allgemeinen Sprachgebrauch oft unterschieden als empfindsam
und feinfühlig. (nach Arnold, Eysenck, Meili, Lexikon der Psychologie)
Empfindsamkeit: Sonderform der Gefühlsregungen, di
sich durch einen überhöhten Grad der Gefühlserregbarkeit und Ansprechbarkeit des
Erlebens äußert. (nach Arnold, Eysenck, Meili, Lexikon der Psychologie)
Empfindsamkeit: Seit G. E. Lessing und J. H. Campe
Begriff für Sentimentalität, die Neigung sich anrührenden Vorstellungen und den
entsprechenden Gefühlen hinzugeben. Dies äußerte sich zuerst in den englischen
Romanen des 18. Jahrhunderts. Empfindsamkeit lässt sich philosophisch als
Fähigkeit seelischer Anteilnahme bestimmen, die sich im Medium sinnlichen
Erlebens, vorzüglich der Kunst entwickelt, daher findet sich Empfindsamkeit vor
allem bei Fragen um Ästhetik. Hier ist es das das Vermögen Empfindsamkeit zu
steuern oder unabhängig von der subjektiven Gefühlswelt zu sein (Kant). (nach Regenbogen,
Meyer, Wörterbuch der philosophischen Begriffe)
Jeder, der
postet und kommentiert, Nachrichten und Geschichten teilt, ein Handyvideo
online stellt, leistet seinen Beitrag, wirkt daran mit, die Erregungszonen der
vernetzen Welt endgültig zu entgrenzen. ( Bernhard Pörksen)
Informationelle
und damit emotionale Isolation ist im digitalen Zeitalter illusionär; ebendies
ist mediengeschichtlich eine Zäsur, die das Kommunikationsklima der
Gesellschaft elementar verändert. (Bernhard Pörksen)
Empfindlichkeit
ist in den meisten Fällen Dummheit. (Heinrich Mann)
Verachtet
niemandes Empfindlichkeit. Das Empfindungsvermögen eines Menschen ist sein
Genie. (Charles Baudelaire)
Zu einer
übertriebenen Empfindlichkeit des Gemütes kommen Leute, die in ihrem Umgang zu
einseitig sind. – Menschenkenntnis stumpft die Empfindlichkeit nicht ab,
behütet aber vor ihren Übertreibungen. (Max Haushofer)
Sensibilität
ist keine Schwäche, sondern eine Fähigkeit. Empfindlichkeit ist eine Schwäche,
aber keine Fähigkeit. (Demetrius Degen)
Das Gute und
das Schlechte, das uns widerfährt, erschüttert uns nicht nach seiner Größe,
sondern nach unserer Empfindlichkeit. (Francois VI. Duc de La Rochefoucauld)
Die
Beleidigungen werden nur durch die bösen Absichten dessen, der beleidigt, und
durch die Empfindlichkeit dessen, der beleidigt wird, zu Beleidigungen.
(Gotthold Ephraim Lessing)
Jeder
heftige Schmerz, sei er körperlich oder geistig, hat die Tendenz, die
Empfindlichkeit gegen Schmerz für alle spätere Zeit zu steigern. (John Stuart
Mill)
).
(nach wikipedia:
https://de.wikipedia.org/wiki/Resilienz_(Psychologie))
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DenkMal Philosophisches Café am 4. Mai 2018 Thema:
Psychosomatik oder wie Psyche und Körper die Gesundheit beeinflussenPsychosomatik:
Ein heute immer noch stiefmütterlich
behandeltes Gebiet der Medizin und Teilgebiet der medizinisch-psychologischen
Forschung. Der Begriff wurde Anfang des 19. Jahrhunderts von dem Psychiater J.
Ch. A. Heinrich Heinroth formuliert. Er sah somatische Gebrechen durch
psychische Einflüsse entstanden. Im Unterschied zur heutigen Schulmedizin bzw.
Organmedizin, die äußere Noxen (Krankheitsursachen) annimmt wie Bakterien oder
Gallensteine usw., fragt die Psychosomatik danach, was die körperliche Funktion
beeinflusse und das funktionale Gleichgewicht störe.
Die Psychogenese sieht einseitig die Wirkung des Psychischen als
kausalen Einfluss auf den Körper.
Modernere Richtungen sprechen von
einer Multikausalität. Es werden
somatische, psychische und soziale Faktoren angenommen. (nach Ursula Dechene,
Psychologie zum Nachschlagen)
Psychosomatik: Grenzgebiet von Medizin, Psychologie und
Psychotherapie, das sich mit den seelisch bedingten oder mitbedingten,
körperlichen Erkrankungen befasst. Die Psychosomatik geht auf uralte medizinische
Überlieferungen (vor allem der von Magie bestimmten Heilkunde der primitiven Medizinmänner)
zurück, erhielt ihre wichtigsten Anregungen aber von der Psychoanalyse und Tiefenpsychologie.
Es finden sich zwei grundlegende Mechanismen bei psychosomatischen Krankheiten:
1. Die Konversion, bei der Teile des Organismus, die sonst willkürlich
beherrschbar sind, durch unbewusste Kräfte gestört werden. 2. Die vegetative
Neurose, eine Körperreaktion auf immer wiederkehrende Gefühlszustände, die
gewissermaßen den Organismus so lange unter Druck setzen, bis er an einer
schwachen Stelle mit einer Krankheit entkommt. (nach Wolfgang Schmidbauer, Psychologie,
Lexikon der Grundbegriffe)
Die Heilkunde war zu allen Zeiten in der einen oder anderen Art
psychosomatisch, und musste es auch immer sein; nicht so jedoch die Pathologie.
(Pedro Lain Entralgo, Medizinhistoriker)
Thure von Uexküll hat immer wieder darauf hingewiesen, dass
Psychosomatik sich auf ein bestimmtes Denkmodell bezieht, das er dem Bild des
Menschen als Maschine entgegensetzt, deren Funktionsweise zwar unendlich
komplex, letztlich aber bei ausreichend konsequenter Forschung und Zerlegung in
immer kleinere Einzelteile erklärbar ist oder in naher Zukunft sein wird. (Wolf
Langewitz)
Psychosomatik: In einer kranken Seele wohnt auch ein kranker
Körper. (Gerhard Uhlenbrock)
Wir sollten die Psychiatrie als Beziehungsmedizin verstehen.
(Thomas Fuchs)
Allein nach Zahlen wird man nicht helfen können, weil man allein
nach Zahlen schlichtweg den kranken Menschen nicht verstehen kann. (Giovanni
Maio)
Krankheit und Gesundheit sind keine absoluten Größen. Sie sind
auch im Zeitalter der Messbarkeit nur begrenzt objektivierbar. Sie sind immer
Ausdruck von Befindlichkeit und sozialer Bewertung. (Asmus Finzen)
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DenkMal Philosophisches Café am 6. April 2018 Thema:
Was ist Körper? Was ist Leib?
Körper, Lehnwort
des 13.Jahrhunderts vom lateinischen corpus. Zunächst war nur der menschliche
und tierische Leib gemeint. Dann auch gleichbedeutend mit Ding. In der
Geometrie jedes begrenzte dreidimensionale Gebilde. In der Physik ist Körper
die einen Raum von bestimmter Umgrenzung erfüllende feste, flüssige oder
gasförmige Materie mit den Eigenschaften der Ausdehnung, Teilbarkeit, Trägheit
und Schwere. In Bezug auf die lebendige Natur wird Körper meist gleichbedeutend
mit Leib gebraucht. (nach Regenbogen, Meyer, Wörterbuch der philosophischen
Begriffe)
Leib, 1.der beseelte Körper im Unterschied zur
unbeseelten toten Materie, 2. Der jeweils eigene Leib, seltener verwendet im
Sinne von Leib eines andern Menschen, im Unterschied vom Körper eines Tiers, 3.
Der menschliche Körper im Unterschied zu seiner Seele, auch die die Seele,
soweit sie in Erscheinung tritt. (nach Regenbogen, Meyer, Wörterbuch der
philosophischen Begriffe)
Der Körper ist der Palast der Seele. (Abraham Ibn Esra)
Durch den Körper wird der Schatten bewegt. (Lü Bu We)
Es ist der Geist, der sich den Körper baut. (Friedrich von
Schiller)
Der Körper ist nur die Form der Seele. (Immanuel Kant)
Der Körper ist der Übersetzer der Seele ins Sichtbare.
(Christian Morgenstern)
Der menschliche Körper ist nur ein Zusammenspiel von
Energien. (Dalai Lama)
Der Körper ist an keiner Stelle ohne Seele, weil sie mit
ihrer eigenen Wärme den ganzen Körper durchströmt. (Hildegard von Bingen)
Die Seele ist nicht räumlich im Körper, Körper ist vielmehr
in der Seele. Einheit und Wahrheit sind das gleiche. (Giordano Bruno)
Sterben heißt, den Tod am eigenen Leib erfahren. (Edith
Stein)
„Jeder Mensch hat zwei
Wege zu der Überzeugung, dass er hier und jetzt ist. Der eine Weg besteht im Betasten und Besehen des eigenen Körpers, der
als feste, stetig zusammenhängende, durch eine rings umschließende Oberfläche
bedeckte Masse in einem Umfeld wahrgenommen wird, in dem er seinen festen
bestimmten Platz hat. Dieser Platz ist ein relativer Ort, […]. Der andere Weg dazu, sich hier und jetzt zu
finden, schafft nicht dieselbe messbare Präzision in einem räumlich-zeitlichen
Ordnungsrahmen, hat aber den Vorteil, dass unzweifelhaft der Mensch selbst es
ist und nicht nur ein Zubehör oder fragwürdiger Repräsentant von ihm, der hier
und jetzt gefunden wird. […] Leiblich ist, was jemand in der Gegend […] seines
materiellen Körpers von sich selber […] spüren kann, ohne sich der fünf Sinne
[…] und des aus ihrem Zeugnis abgeleiteten perzeptiven Körperschemas […] zu
bedienen. […] Die glatte Oberfläche des menschlichen Körpers lässt sich mit
Händen betasten, aber nicht am eigenen Leib spüren. […] Die Flächenlosigkeit
des leiblichen Raumes bedingt weitere Abstriche von der gewohnten Raumvorstellung.
Als Wesensmerkmal der körperlichen Ausdehnung gilt die Teilbarkeit; […]. Jedes
leibliche Volumen ist dagegen unteilbar, weil zur Teilung schneidende Flächen
erforderlich wären, die nicht zur Verfügung stehen. Ebenso wenig kann solches
Volumen Ränder haben und berandete Figuren bilden. Noch einschneidener ist die
Abweichung, dass die leibliche Ausdehnung von sich aus, so wie sie im bloßen
Spüren erfahren wird, keine Gelegenheit bietet, stabile Lagen und Abstände und
über diesen relative Orte einzuführen.“ (Hermann Schmitz 2011. Der Leib.
Berlin/Boston: Walter de Gruyter)
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DenkMal Philosophisches Café am 2. März 2018 Thema:
Das Leib-Seele Problem
Unter dem Leib-Seele-Problem wird die Schwierigkeit verstanden, wie zwei so
diametral entgegengesetzte Wirklichkeiten wie der materielle menschliche Leib
und die geistige Seele eine so radikal innere Einheit bilden können, dass sie
den einen Menschen bilden. Dies zeigt sich konkret in der Fähigkeit der
sinnlichen Wahrnehmung und der willentlichen Bewegung, aber auch bei den von
der Psychosomatik untersuchten Einwirkungen seelischer Zustände auf das
körperliche Befinden und umgekehrt. Ferner ergibt sich das Leib-Seele-Problem
aus der Erfahrung des natürlichen Todes, bei dem der Körper zunächst äußerlich
unverändert zurückbleibt, aber nicht mehr belebt ist und deshalb früher oder
später der Verwesung anheimfällt. […] Das Leib-Seele-Problem ist nur lösbar,
wenn Geist und Materie nicht nur als Gegensatz, sondern auch als aufeinander
bezogen aufgefasst werden, und dem Leben eine vermittelnde Position zwischen
beiden zuerkannt wird. Dies bedeutet keinen Panpsychismus, sondern die
Überzeugung, dass auch die Materie Elemente des Geistigen in sich trägt, was
sich schon daran zeigt, dass sie mathematischen Gesetzen gehorcht. (so
Schöndorf, in: Brugger Schöndorf, Philosophisches Wörterbuch)
Prinzipien (entnommen
aus: Brüntrup): 1.
Die physische Welt ist kausal
lückenlos geschlossen.
2.
Aus der kausalen Geschlossenheit der
physischen Welt folgt die kausale Wirkungslosigkeit mentaler Entitäten.
3.
Mentale Entitäten sind kausal wirksam.
Oder:
1.
Alles Reale ist physischer oder
mentaler Natur.
2.
Das Mentale und das Physische sind
völlig verschieden.
3.
Zwischen Mentalem und Physischem gibt
es eine bidirektionale kausale Interaktion.
Oder:
1.
Jeder mentalen Veränderung entspricht
eine physikalische Veränderung. 2.
Jeder physikalischen Veränderung
entspricht eine Änderung in den kausalen Beziehungen.
3.
Also sind die mentalen Veränderungen
relevant für die kausalen Beziehungen.
Oder:
1.
Mentale Ereignisse stehen in kausaler
Wechselwirkung mit physischen Ereignissen.
2.
Kausale Wechselwirkungen zwischen
Ereignissen fallen immer unter strikte Gesetze.
3.
Es gibt keine strikten
psychophysischen Gesetze.
4.
Strikte Gesetze gibt es nur in der
Physik.
5.
Ereignisse unter einer mentalen
Beschreibung lassen sich nicht unter strikte Gesetze subsumieren.
6.
Ereignisse, die sich unter strikte
Gesetze subsumieren lassen, sind physische Ereignisse.
Oder:
1.
Es gibt eine unüberwindbare epistemische
Kluft zwischen den mentalen Fakten des bewussten Erlebens und rein physischen
Fakten.
2.
Wenn es eine unüberwindbare
epistemische Kluft zwischen mentalen und physischen Fakten gibt, dann gibt es
auch eine ontologische Kluft zwischen den beiden Bereichen.
3.
Also ist der monistische Physikalismus
falsch.
Literatur
Godehard Brüntrup, 2016. Das
Leib-Seele-Problem. Eine Einführung. 5. Auflage. Stuttgart: Kohlhamme https://hinsehen.net/artikel/was-bin-ich-seele-oder-nur-belebter-koerper/ https://hinsehen.net/artikel/der-mensch-ist-mehr-als-eine-seele/
lateinischresilire ‚zurückspringen‘
‚abprallen‘) oder psychische
Widerstandsfähigkeit ist die Fähigkeit, Krisen zu bewältigen und sie
durch Rückgriff auf persönliche und sozial vermittelte Ressourcen als Anlass
für Entwicklungen zu nutzen. Mit Resilienz verwandt sind Entstehung von
Gesundheit (Salutogenese), Widerstandsfähigkeit (Hardiness),
Bewältigungsstrategie (Coping) und
Selbsterhaltung (Autopoiesis). Das Gegenteil von Resilienz ist
Verwundbarkeit (Vulnerabilität).
Ursprünglich wurde mit Resilienz nur die Stärke eines Menschen bezeichnet,
Lebenskrisen wie schwere Krankheiten, lange Arbeitslosigkeit, Verlust von
nahestehenden Menschen oder Ähnliches ohne anhaltende Beeinträchtigung
durchzustehen. Diese Verwendung des Wortes ist auch heute noch häufig. So
werden zum Beispiel Kinder als resilient bezeichnet, die in einem sozialen
Umfeld aufwachsen, das durch Risikofaktoren, wie zum Beispiel Armut,
Drogenkonsum oder Gewalt, gekennzeichnet ist, und als Erwachsene dennoch zu
einer erfolgreichen Lebensführung in der Lage sind. Resiliente Personen haben
gelernt, dass sie selbst es sind, die über ihr eigenes Schicksal bestimmen
(sogenannte interne Kontrollüberzeugung). Sie vertrauen nicht auf
Glück oder Zufall, sondern nehmen die Dinge selbst in die Hand und haben ein
realistisches Bild von ihren Fähigkeiten.
Wesentliche Faktoren, die Resilienz beeinflussen, sind personale Faktoren,
Umwelteinflüsse und Prozessfaktoren. Zu den Umweltfaktoren gehören die
Unterstützung durch die Familie, die eigene Kultur, die Gemeinschaft, das
soziale Umfeld und die schulische Umgebung. Zu den personalen Faktoren gehören
kognitive (z. B. Intelligenz, Deutungs- und Sinngebungs-Modelle
der Realität, Religiosität) wie auch emotionale, also z. B. seine Fähigkeit,
Emotionen und Handlungen zu kontrollieren, seine Selbstwirksamkeitserwartung,
die Toleranz für Ungewissheit, die Fähigkeit, Beziehungen aktiv gestalten zu
können oder die mehr oder weniger aktive Einstellung zu Problemen
(Problemfixierung oder aber Problemlösungsorientierung). Zu den Prozessfaktoren
gehören u. a. die wahrgenommenen Perspektiven, die Akzeptanz des
Unveränderbaren und die Konzentration aller Energien auf das als nächstes zu
Bewältigende und die dabei entwickelten Strategien.
Einige Gruppen von Menschen erweisen sich als besonders resilient. Das sind
in der Regel solche, die einen starken Zusammenhalt haben, eher kollektivistisch
als individuell orientiert sind und sich durch starke Werte auszeichnen, die
von den meisten Leuten aus der entsprechenden Gruppe geteilt werden (in der
Resilienzforschung als „shared values“ bezeichnet).
Grenzen der Resilienz und Kritik des Ansatzes
Resiliente Personen besitzen die Fähigkeit, Möglichkeiten dort zu
ergreifen, wo sie sich bieten. Doch dort, wo sich keine Möglichkeiten bieten,
z. B. in wirtschaftlichen Dauerkrisen, sind selbst resiliente Personen
machtlos.
Resiliente Gesellschaften
Im Gesellschaftsdiskurs hat sich „Resilienz“ vor allem als direkter Gegenbegriff
zur „Vulnerabilität“ (Verwundbarkeit) etabliert. Im
Vordergrund steht dabei vor allem die Frage um die Widerstands- und
Regenerationsfähigkeit von Gesellschaften angesichts moderner und zunehmend
unvorhersehbarer Risiken (Birkmann 2006), z. B. aufgrund von
Umweltveränderungen und -katastrophen.
In der Katastrophensoziologie wird Resilienz als
robuste Widerstandskraft ganzer Gesellschaften gegen flächendeckende
Verheerungen verstanden und vor allem im Bereich der sozialen Voraussetzungen
eines wirksamen Selbstschutzes behandelt (siehe Resilienz (Urbanistik)).
In der ökologischen Forschung dient der Begriff zur Bezeichnung der
Fähigkeit von Ökosystemen, sich nach Eingriffen oder Katastrophen wieder zu
erholen (siehe Resilienz (Ökosystem)
Café DenkMal Philosophisches Café am
2. Februar 2018 Thema: Glaube versus Wissenschaft?
(Teilhard de Chardin)
Teilhard de Chardin wurde am 01.05.1881 in Sarcenat bei
Clermont-Ferrand geboren. Er starb am 10.04.1955 in New York.
Nach Teilhard de Chardin entwickelt
sich der Kosmos aus einem einfachen Anfang (dem Punkt Alpha) zu einem immer
komplexer werdenden System sich differenzierender Teile. Über die Etablierung
des Organischen in Form von Pflanzen und Tieren (Biosphäre) schreitet die
Evolution zur Entfaltung des Geistigen, das sich in Gestalt des menschlichen
Bewusstseins global als „Noosphäre“ ausbreitet. Teilhard de Chardin ging nicht
von einem einmaligen Schöpfungsakt aus, Gott lässt die Dinge sich schöpfen. Die
Evolution strebt dem mystischen Punkt (Omega) zu, dem Endpunkt des Werdens, in
dem sich die „Parusie“, die Wiederkunft Christi am Ende der Zeiten vollzieht.
Im kosmischen Christus verschmelzen die Individuen zu einem endgültigen
„Ultra-Ego“, durch ihn wird die Evolution zu ihrer Vollendung geführt. In der
Menschwerdung ereignet sich der Wendepunkt der Evolution. (nach Bernd Lutz
(Hrsg.), Metzler Philosophen-Lexikon)
„Eines Tages, nachdem wir Herr der Winde, der Wellen,
der Gezeiten und der Schwerkraft geworden sind, werden wir uns in Gottes
Auftrag die Kräfte der Liebe nutzbar machen. Dann
wird die Menschheit, zum zweiten Mal in der Weltgeschichte, das Feuer entdeckt haben.“
„Die Welt ist nur nach
vorwärts interessant, in dieser Hinsicht geradezu fesselnd.“
„Es gibt eine Innenseite der Dinge, die sich ebenso weit erstreckt wie ihre
Außenseite.“
„Der Zweifel ist der
Beginn der Wissenschaft. Wer nichts
anzweifelt, prüft nichts. Wer nichts prüft, entdeckt nichts. Wer nichts
entdeckt, ist blind und bleibt blind.“
„Eines Tages, nachdem wir Herr der Winde, der Wellen, der Gezeiten und der
Schwerkraft geworden sind, werden wir uns in Gottes Auftrag die Kräfte der Liebe nutzbar
machen. Dann wird die Menschheit, zum zweiten Mal in der Weltgeschichte, das Feuer entdeckt
haben.“
"Wir sind keine Menschen, die eine
spirituelle Erfahrung machen, sondern wir sind spirituelle Wesen, die erfahren
Mensch zu sein."
Café
DenkMal Philosophisches Café am 5. Januar 2018 Thema:
Remythologisierung
Mythos: eigentlich
die Erzählung, die Fabel, insbesondere die Göttergeschichte. Der Mythos enthält
die religiös gefärbte Darstellung von Vorgängen aus dem Natur- und Weltleben
und der Weltwerdung unter dem Bilde menschlicher Gestalten oder eines in
menschlicher Art dargestellten Tuns und Leidens, wobei die Wesen, die Natur-und
Geisteskräfte der Welt als Götter und Helden erscheinen. Man unterscheidet den
Mythos, der sich auf Gott und die Götter (theogonisch) bezieht und den, der sich
auf die Entstehung der Welt (Kosmogonie) bezieht. Im weiteren Sinne wird unter
Mythos jede sich aus Bestandteilen der Wirklichkeit aufbauende und diese als
Symbole für göttliche oder metaphysische Mächte und Kräfte verstehende, das
Wesen der Erscheinungen in Bildern statt in Begriffen ausdrückende Darstellung
metaphysischer Zusammenhänge des Natur- und Menschenlebens verstanden. Plato dichtete
Mythen, um durch sie Inhalte seiner kosmogonischen und philosophischen Lehren besser,
leichter und eindringlicher zu vergegenwärtigen. (nach Regenbogen/Meyer, Wörterbuch
philosophischer Grundbegriffe)
Entmythologisierung: Rudolf
Bultmann hat die Problematik der Theologie und Exegese ganz auf die Frage der
Notwendigkeit einer Entmythologisierung der neutestamentlichen Botschaft
zugespitzt. Das Weltbild, in dem das Neue Testament sich auslege, sei ein
mystisches, während der Mensch von heute sich ausdrücklich oder
nichtausdrücklich auf ein naturwissenschaftliches Weltbild bezieht. Um an den Kern
der neutestamentlichen Botschaft heranzukommen, sei es notwendig, eine radikale
Entmythologisierung vorzunehmen.
Allerdings legt zum Beispiel die Tiefenpsychologie dar, dass
Mythen einen tieferen Sinn haben, wie es Ethnologen ans Licht bringen, und
daher eine nicht wegzudenkende Funktion haben. Bultmann, so der Vorwurf, geht
einseitig vom Weltbild des heutigen Menschen aus. (nach Rahner/Vorgrimler,
Herders Theologisches Taschenlexikon).
Es scheint ein großes Bedürfnis da zu sein nach
einer «Remythologisierung» der Welt;
wir sehnen uns nach Geschichten mit mythischen Elementen, nach Elementen, die
das Leben wieder etwas reicher machen. Die gesamte Welt des mythologischen
Erklärens, Geschichten rund um Elfen, Engel und Dämonen sind uns etwas
abhandengekommen. (Oliver Krüger, https://www.srf.ch/kultur/gesellschaft-religion/ist-fantasy-literatur-eine-neue-ersatzreligion)
Jeder Mythos reflektiert eine Erfahrung des Heiligen, weil das
Heilige eine Verbindung mit der übernatürlichen Welt herstellt. Mircea Eliade
und Paul Ricœur sagten, dass „der Mensch ohne das Heilige nicht existieren
kann”. […] Der Mensch befindet sich in einer mit religiösen Werten geladenen
Welt, er lebt in einer Welt von „Zeichen”, denen Bedeutung nicht nur
intellektuell, sondern auch viel weitreichender, existentieller und
metaphysischer ist. Das Studium und das Verstehen der Mythen und traditionellen
Symbole sind fähig, grundsätzliche existentielle Bedeutungen zu enthüllen, und
dementsprechend, eine innere Umwandlung des Lesers herauszufordern. […]. So ist
das Heilige die Wirklichkeit par excellence, da nur das Heilige absolut ist,
wirksam handelt, Dinge schöpft und sie dauern macht. […] Dieses mythische Bewusstsein
bot dem Menschen die Möglichkeit, seinen Platz im Universum zu finden: „der
Mythos befindet sich nicht außer der Wirklichkeit, er stellt sich als eine Form
der Installation in der Wirklichkeit vor“ (Elena Isai: (http://www.cntdr.ro/sites/default/files/c2010/c2010a43.pdf)
Café DenkMal Philosophisches Café am 01. Dezember 2017 Thema: Umbruch der Gesellschaft durch Digitalisierung
„[…]
die moderne Gesellschaft [ist] in ihrer ganz eigenen Form der Komplexität davon
geprägt […], dass es keinen Ort gibt, von dem her man sie konkurrenzlos und
gültig beschreiben kann. Mehr noch: Sie kennt keinen Ort, der es ermöglicht,
auf die Gesellschaft zuzugreifen. Man kann nicht durchregieren, man muss
vielmehr lernen, dass sich die Gesellschaft dem regulierenden Zugriff schon
deswegen entzieht, weil Unterschiedliches gleichzeitig abläuft und nirgendwo
ein Hebel zu finden ist, von dem her sie wirklich beeinflusst werden kann. Und
das gilt folgerichtig auch für ihre Beschreibung.“ (Nassehi)
„Alles wird kontextualisiert, das heißt, wie
die Dinge sich darstellen, hängt davon ab, von wo aus wir sie betrachten.
Letztlich ist die Gesellschaft voller unterschiedlicher
Problemlösungsperspektiven.“ (Nassehi)
„[…] denn was Netzwerke anbieten, ist etwas
völlig anderes: Sie ermöglichen eben nicht eine kollektive Weisheit der vielen,
sondern eher eine individuelle Klugheit der Einzelnen.“ (Nassehi)
„Es geht dabei eben nicht um Kollaboration und
Kollektivität, sondern darum, dass sich die Erreichbarkeit der Welt
individualisiert – Pfade werden immer unterschiedlicher, was umgekehrt
technische Tools der Identifizierung und Steuerung von Individuen mit Hilfe von
Big Data und der Rekombination von Daten und Netzwerken ermöglicht.“ (Nassehi)
„Die
Welt sieh analog aus, nämlich so, wie wir sie sehen, sie operiert aber digital.“
(Armin Nassehi)
„Das
Reafferenzprinzip kompensiert die Mannigfaltigkeit von Umweltsignalen durch ein
Selektionsprinzip, das aus einer chaotischen Fülle von möglichen Informationen
diejenigen destilliert, die aus der chaotischen eine handhabbare, wahrnehmbare,
kalkulierbare Umwelt machen.“ (Armin Nassehi)
„Das Verhältnis von digitalen und analogen
Welten wird erst dann sichtbar, wenn analoge Bilder nicht mehr genügend
Informationen bieten - und dies scheint exakt die Erfahrung zu sein, die der
Ausgangspunkt für gesellschaftliche Krise beziehungsweise Krisenerfahrungen
sind.“ (Armin Nassehi)
„Die
Kulturbedeutung des Computers besteht gewissermaßen darin, analoge Realitäten
auf Grundbestandteile hin aufzulösen und zu rekombinieren.“ (Armin Nassehi)
„Die
Digitaltechnik lässt hinter der sichtbaren Realität einen Fundus an Zusammenhängen
vermuten, der durch analoge Formen der Beobachtung nicht mehr einzuholen ist.“
(Armin Nassehi)
„Die
Sensorik, die erst ausreichend big Daten anfallen lässt, ermöglicht eine
besondere Form der Mustererkennung, also letztlich eine digitale Form der
Wahrnehmung.“ (Armin Nassehi)
Bilder,
die heute digital zu Prixelbrei verwurstet werden, speicherte man früher in der
Seele ab. (Georg Skrypzak)
In
welcher Welt leben wir, dass wir Menschen nur noch digital anstupsen, um
Aufmerksamkeit zu erregen, anstatt jemanden real zu umarmen, um Wertschätzung
zu verschenken? (Steffen Kirchner)
Digitale
Auszeiten sind analoge Mehrzeiten. (Helmut Glaßl)
Die
Nicht-Erreichbarkeit – der neue Luxus in der digitalen Arbeitswelt. (Helmut Glaßl)
„Digitale
Informationstechnik lenkt ab und schadet der Konzentration und Aufmerksamkeit.
Sie behindert Bildungsprozesse, statt – wie vielfach behauptet wird – sie zu
fördern. […] Computer verstärken die Bildungsunterschiede zwischen Arm und
Reich.“ (Manfred Spitzer)
„Weil
derzeit alle Gesellschaften und Kulturen von der Digitalisierung betroffen sind
und diese mit einer Geschwindigkeit erfolgt, mit der zuvor noch keine
kulturelle Veränderung global vor sich ging, werden zwangsläufig diejenigen
gewinnen, die sich rechtzeitig und ernsthaft mit den Risiken und Nebenwirkungen
befasst haben.“ (Manfred Spitzer)
Literatur:
Armin
Nassehi 2017. Die letzte Stunde der Wahrheit. Hamburg: Murmann
Manfred
Spitzer 2017: Cyberkrank. Wie das digitalisierte Leben unsere Gesundheit ruiniert.
München: Droemer Knaur
Café DenkMal Philosophisches Café am 03. November 2017 Thema: Wie viel Gefühl und viel Denken führen zu einer guten Entscheidung?
Entscheidung ist im weiten Sinn des
Wortes ein Prozess, durch den etwas Ungewisses und Zweifelhaftes zur Klärung
kommen soll. Im engen Sinn ist Entscheidung ein ethischer Begriff, der zur
praktischen Vernunft gehört. Es ist der intentionale Akt, der dem Handeln
unmittelbar vorausgeht. Der Entscheider trägt Verantwortung für diese Tat. Zu
freiwilligem Handeln sind nur Lebewesen fähig, die prinzipiell dazu in der Lage
sind, Entscheidungen zu treffen. Man kann dabei von einer grundsätzlichen
Entscheidung sprechen, ob eine bestimmte Art des Handelns, die sich aufgrund
von Wünschen und Neigungen nahelegt, realisiert werden soll. Wenn sie negativ
ausfällt, gilt auch die Unterlassung oder das Aufschieben als Handlung. Fällt
sie positiv aus, muss in einem zweiten Schritt eine konkrete
Handlungsmöglichkeit ausgewählt werden. Dabei geht es um die Wahl von Mitteln
zu einem vorgegebenen Ziel. Ethische Entscheidungen haben ferner auch eine
existenzielle Dimension, es ist eine Entscheidung darüber, was für eine Art von
Mensch der Mensch sein will. (nach Trampota, in: Brugger, Schöndorf, Philosophisches
Wörterbuch)
Entscheidungstheorie ist die Summe von
Prinzipien zur Optimierung der Entscheidungsfindung. Prinzipien der
Betriebswirtschaftslehre, der Spieltheorie und der statistischen Hypothesenprüfung
wurden dafür übernommen. Das Ziel ist die Entwicklung von Strategien zur Lösung
praktischer Probleme unter Berücksichtigung aller notwendigen Schritte von der
Informationserhebung und –verarbeitung bis zur Entscheidung für ein bestimmtes
treatment (Behandlung, Handhabung). Nach einer Strategieoptimierung anhand
einer Kosten-Nutzen-Analyse wird diejenige Strategie gewählt, die beim jeweiligen
Problem den höchsten Gesamtnutzen erbringt. ( nach: Arnold, Eysenck, Meili, Lexikon
der Psychologie)
Entschluss ist der letzte Teil des
Willensaktes, aus dem unmittelbar die Handlungsbereitschaft folgt. Der
Entschluss setzt Überlegung und Abwägung der für die Entscheidung relevanten
Aspekte voraus und impliziert das Wissen um die persönliche Verantwortung für
diese Entscheidung. Insofern ist der Entschluss von der spontanen Entscheidung,
die vornehmlich aus der emotionalen Situation heraus erfolgt, zu unterscheiden.
(Arnold, Eysenck, Meili, Lexikon der Psychologie)
Entscheidung ist Beschränkung.
(Peter Hille)
Jede Entscheidung ist Verneinung.
(Baruch de Spinoza)
Wenn du eine Entscheidung treffen
sollst und triffst keine, so ist das selbst eine Entscheidung. (William James)
Überlasse die Entscheidung nicht
der Leidenschaft, sondern dem Verstand. (Epicharm)
Der Schwache zweifelt vor der
Entscheidung, der Starke danach. (Karl Kraus)
Wohin wir naturhaft neigen, das
unterliegt nicht der freien Entscheidung. (Thomas von Aquin)
Wer Entscheidungen nicht plant,
sondern sich erst dann darum kümmert, wenn die Entscheidung fallen muss, der
handelt zu spät. (Konfuzius)
Eine Entscheidung emotionslos,
also ohne Gefühl zu treffen, wird irgendwann zurückschlagen. (Erhard Blanck)
Besser eine Entscheidung aus dem
hohlen Bauch als von einem hohlen Kopf. (Fritz-J. Schaarschuh)
Es ist besser, unvollkommene
Entscheidungen durchzuführen, als beständig nach vollkommenen Entscheidungen zu
suchen, die es niemals geben wird. (Charles de Gaulle)
Café DenkMal Philosophisches Café am 06.10.2017 Thema: Vom Wollen zum Handeln
Handeln!
Handeln! Das ist es, wozu wir da sind. (Johann Gottlieb Fichte)
Handeln ist
besser als Wissen. (Heinrich von Kleist)
Erst handeln
und dann reden. (Friedrich von Schiller)
Handeln ist
leicht, Denken schwer, nach dem Gedanken handeln unbequem. (Johann Wolfgang von
Goethe)
Es ist
besser zu handeln und es zu bereuen, als nicht zu handeln und es zu bereuen.
(Giovanni Boccacio)
Rechtes
Handeln folgt dem rechten Denken. (Sokrates)
Die
Philosophie lehrt handeln, nicht reden. (Lucius Annaeus Seneca)
Beizeiten
quer zu handeln, erspart die Revolution. (Stephan Sarek)
Alles
Handeln gipfelt in der Selbst-Verwirklichung. (Bhagavagita)
Ein
disziplinierter Geist führt zu positivem Handeln. (Dalai Lama)
Wie wir
gegen andre handeln, so handeln andre gegen uns; ja sie werden von uns
gezwungen, so zu handeln. (Johann Gottfried Herder)
Man muss
handeln können, wie man will, um zu handeln, wie man soll. (Karl Salomo von
Lingenthal)
Soziale
Ungerechtigkeit fördert unsoziales Denken und Handeln. (Justus Vogt)
Sprecht
nicht: Wir wollen leiden, denn ihr müsst. Sprecht aber: Wir wollen handeln,
denn ich müsst nicht. (Jean Paul)
B: Sollte
die Freiheit nichts anderes sein, als dass es in meiner Macht steht, das, was
ich will, auch zu tun? Ich bin nicht frei zu wollen, was ich will?
A: Ihr Wille
ist nicht frei, aber Ihre Handlungen sind frei. Sie sind frei zum Handeln, wenn
es in Ihrer Macht steht, zu handeln. All die Bücher über die Freiheit zum
beliebigen Tun, zum beliebigen Handeln sind dummes Geschwätz; es gibt keine
Freiheit zum beliebigen Tun. Das ist ein Wort ohne Sinn und Verstand, das sich
Leute ausgedacht haben, die zu wenig davon hatten. (Voltaire)
Was kommen
soll, kommt nicht ohne unser Zutun, aber anders als wir denken. Der Mensch ist
nicht Herr seiner Taten; wie rein unser Wollen auch sein möge: unser Handeln
wird bestimmt durch eine Menge Antriebe und Verhältnisse, die außer uns liegen,
aber in uns wirken. (Friedrich Martin von Bodenstedt)
Das Wollen
lernt man nicht. (Lucius Annaeus Seneca)
Wenn wir die
Ziele wollen, wollen wir auch die Mittel. (Immanuel Kant)
Du kannst
tun was du willst: aber du kannst, in jedem Augenblick deines Lebens, nur
ein Bestimmtes wollen und
schlechterdings nichts anderes, als dieses Eine. (Arthur Schopenhauer)
Da der ganze
Mensch nur die Erscheinung seines Willens ist; so kann nichts verkehrter sein,
als, von der Reflexion ausgehend, etwas anderes sein zu wollen, als man ist:
denn es ist ein unmittelbarer Widerspruch des Willens mit sich selbst. (Arthur
Schopenhauer)
Dem bei
weitem größten Teile der Menschen aber sind die rein intellektuellen Genüsse
nicht zugänglich; der Freude, die im reinen Erkennen liegt, sind sie fast ganz
unfähig; sie sind gänzlich auf das Wollen verwiesen. (Arthur Schopenhauer)
Café DenkMal Philosophisches Café am 01. September 2017 Thema: Die Kolonialisierung der Gefühle
Der zentrale Antagonismus scheint
mir nicht derjenige zwischen Kapital und Arbeit zu sein, wie es Marx noch
gedacht hat, sondern derjenige zwischen der systemimmanenten Maßlosigkeit des
Wirtschaftslebens und den übrigen Gesellschaftsbereichen. (Franz-Xaver
Kaufmann)
Solche Wirtschaftssysteme
beziehen immer neue Bereiche der natürlichen und sozialen Umwelt in den Prozess
der Verwertung ein, unabhängig davon, ob damit die Regenerationsbedingungen
dieser Bereiche gesichert sind. (F.-X. Kaufmann)
Am weitesten ist dieser Parasitismus
für uns im Bereich der Umweltproblematik ins öffentliche Bewusstsein gedrungen.
Aber es gibt viele andere Bereiche, für die man ihn genauso nachweisen kann.
(F.-X. Kaufmann)
Jürgen Habermas spricht von der
Kolonialisierung der Lebenswelt. Man hat in den Kolonien die Traditionen dieser
Gesellschaften zerstört und gleichzeitig eigentlich diese Menschen in einen
Verwertungsprozess einbezogen, der eben derjenige der hochentwickelten
Gesellschaften gewesen ist. (F.-X. Kaufmann)
Transparent werden die Dinge,
wenn sie jede Negativität abstreifen, wenn sie geglättet und eingeebnet werden,
wenn sie sich widerstandslos in glatte Ströme des Kapitals, der Kommunikation
und Information einfügen. […] Transparent werden die Bilder, wenn sie von jeder
Dramaturgie, Choreografie und Szenografie, von jeder hermeneutischen Tiefe ja
vom Sinn befreit, pornografisch werden. Pornografie ist der unmittelbare Kontakt
zwischen Bild und Auge. (Byung-Chul Han)
Der Kapitalismus ist nur
verschuldend. Er verfügt über keine Möglichkeit der Sühne, die den Schuldigen
von seiner Schuld befreien würde. Die Unmöglichkeit der Entschuldung und
Entsühnung ist auch verantwortlich für die Depression des Leistungsobjekts.
(Byung-Chul Han)
Es gibt eine Grenze für das
Aussprechen der Gefühle, die man nicht überschreiten soll. (Lew Nikolajewitsch
Tolstoi)
Café DenkMal Philosophisches Café am 04. August 2017 Thema: Einsamkeit
Die
Behauptung, dass Einsamkeit für den Betroffenen ein ernsthaftes Problem sein
kann, ist ungefähr das Einzige, was stimmt. (Lars Svendsen)
Zu lieben
hat immer einen Preis und Einsamkeit ist ein Teil dieses Preises. (Lars
Svendsen)
Selbst wenn
wir die Einsamkeit wählen, sind wir soziale Tiere. (Lars Svendsen)
Therapie ist
es, die Einsamkeit in der eigenen Wahrheit zu lindern und die anderen Lesarten
als ebenso wahrhaftig zuzulassen. (Ram Adhar Mall)
Einsamkeit
hat den großen Vorteil, dass man die Flucht vor sich selbst einstellt. (Marcel Proust)
Eure
schlechte Liebe zu euch selber macht euch aus der Einsamkeit ein Gefängnis. (Friedrich
Nietzsche)
Arroganz ist
die Schwester der Einsamkeit. (Annette Andersen)
Gesellschaft
braucht der Tor, und Einsamkeit der Weise. (Friedrich Rückert)
In der
Einsamkeit wächst, was einer in sie bringt, auch deas innere Vieh. (Friedrich
Nietzsche)
Die
Einsamkeit ist der vertraute Umgang mit sich selbst. (Robert Schumann)
Der Mensch
hat ein Grauen vor der Einsamkeit. Und von allen Einsamkeiten ist die
moralische die schrecklichste. (Honoré de Balzac)
Alle großen
Leidenschaften entstehen in der Einsamkeit. (Jean-Jacques Rousseau)
Wer die
Einsamkeit fürchtet, sollte nicht heiraten. (Anton Pawlowitsch Tschechow)
Einsamkeit
ist die Mutter aller Ängste. (Publilius Syrus)
Einsamkeit
ist der Nährboden des Genies. (Peter Fröhling)
Es ist in
der Tat nicht leicht zu unterscheiden, ob sich hinter den Einsamkeitsideen nur
ein äußerster Schutz der Festungen des gekränkten Ich verbirgt oder ob eine Personalisierungserfahrung
im Durchgang durch den sozialen Tod gelingt. (Helmut Brall)
Vereinsamung
ist eine Verlusterfahrung und Einsamkeit eine Verzichterfahrung. Einsamkeit
wird erlitten – in der Einsamkeit wird etwas gesucht. (Hans-Georg Gadamer)
Was uns
modern plagt, quält und malträtiert, ist nicht nur – und schon gar nicht primär
– die Einsamkeit, sondern vor allem der Verlust der Einsamkeitsfähigkeit: die
Schwächung der Kraft zum Alleinsein, der Schwund des Vermögens, Vereinzelung zu
ertragen, das Siechtum der Lebenskunst, Einsamkeit positiv zu ertragen. (Odo Marquardt)
Je weniger
Kommunikation jemand braucht, um so mehr Kommunikation gelingt ihm; je einsamer
einer sein kann, desto weniger ist er es. (Odo Marquardt)
Wenn du
Einsamkeit nicht ertragen kannst, dann langweilst du vielleicht auch andere.
(Oscar Wilde)
Um die
Einsamkeit ist’s eine schöne Sache, wenn man sich selbst in Frieden lebt und
was Bestimmtes zu tun hat. (Johann Wolfgang von Goethe)
Literatur: Helmut Brall (Hrsg.), 1990. Versuche über die Einsamkeit. Frankfurt
am Main: Keip Verlag
Lars Fr. H. Svendsen, 2016. Philosophie der Einsamkeit.
Wiesbaden: Berlin university press
Café DenkMal Philosophisches Café am 07. Juli 2017 Thema: Mythos Fahrrad oder die Rückeroberung der Stadt
Bei keiner
anderen Erfindung ist das Nützliche mit dem Angenehmen so innig verbunden, wie
beim Fahrrad. (Adam Opel)
Die
physischen Hindernisse, die Frage des Gleichgewichts, die Konzentration und der
Blick nach vorn, das alles macht das Fahrrad zu einem Spiegel der Seele. (Elmar
Schenkel)
Wer einmal
erlebt hat, wie die Stille einer hochalpinen Region plötzlich von dem
aufjaulenden Motor eines einzigen Motorrades grausem zerschnitten wird, weiß,
dass sich nur eine barbarische Zivilisation dem Verbrennungsmotor unterwerfen
konnte. (Paul Konrad Liessmann)
Durch das
Fahrrad entdeckt jeder ein wenig von seinem Körper, seinen körperlichen
Fähigkeiten, und erlebt die damit verbundene Freiheit. (Marc Augé)
In dem
Augenblick, da die Urbanisierung der Welt die Träume vom Landleben dazu
verdammt, sich in Klischees geordneter Natur (Stadtparks) oder in Abbilder
phantasierter Natur (Freizeitparks) zu flüchten, verwandelt das Wunder des
Radfahrens die Stadt erneut in ein Land der Abenteuer oder zumindest des
Reisens. (Marc Augé)
Wenn man den
Einwohnern und Besuchern kostenlos Fahrräder zur Verfügung stellt, zwingt man
sie, einander zu sehen und zu begegnen, die Straßen in soziale Räume zu
verwandeln, den städtischen Lebensraum neu zu gestalten und die Stadt zu
träumen. (Marc Augé)
Der erste
Tritt in die Pedale ist der Beginn einer neuen Autonomie, er ist ein schöner
Ausreißversuch, die spürbare Freiheit, die Bewegung der Fußspitze, wenn die
Maschine auf das Verlangen des Körpers reagiert und ihm gleichsam vorauseilt.
(Marc Augé)
Dieser Kampf
mit dem Raum war eine unvergleichliche und erhebende Übung in Einsamkeit. (Marc
Augé)
Unter
Radfahrern selbst bescheidensten Niveaus gibt es das Bewusstsein einer gewissen
Solidarität, eine Gefühl der Probe und des geteilten Augenblicks, eines
gewissen Etwas, das sie von allen unterscheidet und nur ihnen gehört. (Marc
Augé)
Als
Verdienst ist dem Fahrrad außerdem die Wiederherstellung der Individualität des
Radlers anzurechnen, aber auch die Neuerfindung liebenswürdiger, loser sozialer
Bande, die zwar flüchtig sein mögen, aber stets von einer gewissen Lebensfreude
geprägt sind. (Marc Augé)
So wird das
Fahrrad zum Symbol einer ökologischen Zukunft für die Stadt von morgen und
einer urbanen Utopie, die die Gesellschaft mit sich selbst versöhnen soll.
(Marc Augé)
Vielleicht
kann das Fahrrad tatsächlich eine bestimmende Rolle spielen, wenn es darum
geht, den Menschen zu helfen, sich ihrer selbst und der Orte, an denen sie
leben, wieder bewusst zu werden, indem es zumindest für die Radler die Bewegung
umkehrt, die die Städte aus sich selbst hinauskatapultiert. Wir brauchen das
Fahrrad, um uns wieder auf uns selbst und auf die Orte, an denen wir leben, zu
zentrieren. (Marc Augé)
Wer es
einmal wagt, in der Stadt das Fahrrad zu benutzen, dem bietet es eine ganz neue
Erfahrung, denn es eröffnet die Möglichkeit, Entfernungen neu einzuschätzen und
Verbindungen herzustellen, die sich mit den anderen Verkehrsmitteln nicht
erschließen lassen, weil diese an feste Wege gebunden sind. (Marc Augé)
Das
Radfahren gibt uns ein Stück kindlicher Seele zurück und damit auch die
Fähigkeit zu spielen und den Sinn für Realität. (Marc Augé)
Literatur: Marc Augé,
2016. Lob des Fahrrads. München: C.
H. Beck
Konrad Paul
Liessmann, 2010. Die letzte Kehre. Hommage an das Rennrad, in: Konrad Paul
Liessmann, 2010. Das Universum der Dinge.
Zur Ästhetik des Alltäglichen. Wien: Zsolnay Thomas Holtbernd: https://hinsehen.net/2017/07/01/korrektur-auf-dem-gepaecktraeger/
Café
DenkMal Philosophisches Café am 02. Juni 2017 Thema:
Mythos, Mythen, Mythologie
Mythologie, stammt vom
griechischen Mythos = Göttergeschichte und logos = Lehre. Mythologie ist die
Lehre vom Mythos, die Überlieferung der Mythen, die Wissenschaft von ihrer
Entstehung, ihren Formen und ihrer Bedeutung.
Mythos, meint
eigentlich die Erzählung, die Fabel, insbesondere die Göttergeschichte. Er
enthält die religiös gefärbte Darstellung von Vorgängen aus dem Natur- und
Weltleben und der Weltwerdung unter dem Bilde menschlicher Gestalten oder eines
in menschlicher Art dargestellten Tuns und Leidens, wobei die Wesen, die Natur-
und Geisteskräfte der Welt als Götter und Helden erscheinen. Man unterscheidet den
theogonischen Mythos (Geburt und Entstehung der Götter), kosmogonischen Mythos (Entstehung der Welt
durch die Götter), den anthropologischen (Schöpfung des Menschen, sein Wesen
und durch die Götter bestimmtes Schicksal), den soteriologischen (Erlösung des
Menschen und den eschatologischen (Ende der Welt, der Menschen und Götter). Im
Weiteren wird unter Mythos die sich aus Bestandteilen der Wirklichkeit
aufbauende und diese als Symbole für göttliche oder metaphysische Mächte und
Kräfte verstehende, das Wesen der Erscheinungen in Bildern statt in Begriffen
ausdrückende Darstellung metaphysischer Zusammenhänge des Natur- und
Menschenlebens verstanden; so dichtete Platon Mythen, um durch sie die Inhalte
seiner kosmogonischen und philosophischen Lehren besser, leichter oder
eindringlicher zu vergegenwärtigen. (nach Regenbogen und Meyer, Wörterbuch der
philosophischen Grundbegriffe)
Die
Philosophie kann zum einen als
Übergang vom Mythos zum Logos angesehen werden, weil nun der Versuch gemacht
wird, die Wahrheit begrifflich und argumentativ und nicht mehr in der
narrativen Form poetischer Erzählungen darzustellen. Mit dem Aufkommen des
Christentums wird der Mythos zunächst kritisch gesehen, da er aus heidnischen
Religionen stammt. Normalerweise standen auch alle aufklärerischen Zeiten und
Bewegungen dem Mythos kritisch gegenüber, da sie in ihm eine noch
unaufgeklärte, vorwissenschaftliche Weise des Selbst- und Weltverständnisses
sehen, die es zu überwinden gilt. Vor allem in der Neuzeit wird im Zusammenhang
mit der Erforschung der verschiedenen Kulturen und Religionen und der Deutung
der in ihnen tradierten Literatur und Dichtung wieder der positive Gehalt des
Mythos zum Thema gemacht. Auf der anderen Seite gab es Anfang des 20. Jahrhunderts
den Versuch, die Bibel von ihrem mythologischen Gehalt zu reinigen. (nach
Brugger, Schöndorf, Philosophisches Wörterbuch)
Mythen erweisen sich langlebiger als wissenschaftliche
Erkenntnisse. (Helmut Glaßl)
Mythen stellen das Langzeitgedächtnis der Menschheit dar. Die
Medien bedienen das Kurzzeitgedächtnis. (Elmar Schenkel)
Ich betrachte es als eine Aufgabe kommender Dichtergeschlechter,
neue Mythen zu schaffen, und wir wollen ihnen schon vorarbeiten. ( Christian
Morgenstern)
Der unerfüllbare Glaube an Perfektion ist der beste Beweis für die
Natur des Mythos. (Frank Wisniewski)
Eines Tages, nachdem wir Herr der Winde, der Wellen,
der Gezeiten und der Schwerkraft geworden sind, werden wir uns in Gottes
Auftrag die Kräfte der Liebe
nutzbar machen. Dann wird die Menschheit, zum zweiten Mal in der
Weltgeschichte, das Feuer
entdeckt haben.“
„Die Welt
ist nur nach vorwärts interessant, in dieser Hinsicht geradezu fesselnd.“
„Es gibt eine Innenseite der Dinge, die sich ebenso weit erstreckt wie ihre
Außenseite.“
„Der Zweifel
ist der Beginn der Wissenschaft. Wer nichts anzweifelt, prüft
nichts. Wer nichts prüft, entdeckt nichts. Wer nichts entdeckt, ist blind und
bleibt blind.“
Zuwachs an Kenntnis ist Zuwachs
an Unruhe. (Johann Wolfgang von Goethe)
Das gerechte Leben ist von Unruhe
am freiesten, das ungerechte aber ist voll von jeglicher Unruhe. (Epikur von
Samos)
Erst in einer Zeit der Unruhe
kann man Treue erkennen. (Konfuzius)
Über den Wassern deiner Seele
schwebt unaufhörlich ein dunkler Vogel: Unruhe. (Christian Morgenstern)
Ruhig im Gemüt kann man nur
werden in der Unruhe geistiger Arbeit. (Ernst F. A. Rietschel)
Die Unruhe ist ein Daseinsgefühl, eine Welt voller Phantasien,
voller Verheißungen und Pläne. Ihre Wucht und Überzeugungsstärke bezieht die
Unruhe aus einer geläufigen Prosa des Begehrens, die sich in Bildern der
Erneuerung und der Belebung ausspricht. (Ralf Konersmann)
Für die Genealogie der Unruhe ist die neuzeitliche
Präparierung der Geschichte interessant, weil sie die Standardvermutung
widerlegt, die Moderne habe die Unruhe erfunden. Sie hat sie nicht erfunden,
sondern vorgefunden, zu ihrem Vorteil umgewertet und zur Grundlage ihres
Weltbildes gemacht. (Ralf Konersmann)
Die Unruhe ist ein hoffnungsfrohes Taumeln, ein massenhaftes
Sehnen und Drängen, das die Unterscheidung zwischen Treiben und Getriebensein
nicht kennt. (Ralf Konersmann)
Die Formen des Umgangs mit der Unruhe sind in zwei
Schlüsselsätzen gebündelt, die sich antithetisch aufeinander beziehen lassen.
Der eine entstammt der hellenistischen Philosophie und besagt, das Glück der Menschen verlange
Sorglosigkeit und beständige Ruhe; der andere, aus dem Genesisbericht,
beschreibt den Menschen als das Wesen, das zum Zeichen seiner Sündhaftigkeit
mit der Unruhe geschlagen ist. (Ralf Konersmann)
Die klassische Vorgehensweise der antiken Klugheitslehren
sieht vor, der Unruhe durch die Autopsie ihrer Anlässe beizukommen, und das
heißt: ihr durch Interpretation den Boden zu entziehen. (Ralf Konersmann)
Die Normalität der Unruhe erweist sich als Realisierung einstiger
Chancen und Möglichkeiten, sie bekommt eine Geschichte.
(Ralf Konersmann)
Die Technik des Herausgreifens bei gleichzeitigem Rückbezug
auf die Vorvergangenheit charakterisiert ganz wesentlich die Darstellung der
Unruhe, die nach der Auskunft der mosaischen Erzählung bereits in der zweiten Generation
den Rhythmus der Menschheit zu beherrschen beginnt. (Ralf Konersmann)
Die Unruhe ist das Zeichen der Erlösungsbedürftigkeit des
Menschen. (Ralf Konersmann)
Dem Anspruch kritischer Selbstwahrnehmung wird die Kultur
der Unruhe erst dann gerecht, wenn sie ihre Antriebsstruktur, statt sich ihr zu
überlassen, begreift und beherrschen lernt. (Ralf Konersmann)
Die Verbindung von Schönheit und Selbstgewissheit macht den
Blick frei für die so noch nie gesehene, die menschliche Ruhe. (Ralf Konersmann)
Literatur: Ralf
Konersmann, 2015. Die Unruhe der Welt. Frankfurt
am Main: Fischer
DenkMal!
Philosophisches Café am 07.04.2017 Thema:
Schutz, Kontrolle oder Überwachung?
Die
Kontrolle der Kontrolle ist das Maß der Freiheit. (Andrea Mira Meneghin)
Vertrauen
ist, gut, Kontrolle ist besser. (Wladimir Iljitsch Lenin)
Nur
Gewohnheitstrinker haben alles unter Kontrolle. (Pavel Kosorin)
Das
Wesen einer freien Regierung besteht in einer wirksamen Kontrolle der Rivalitäten.
(John Adams)
Öffentliche
Kontrolle und gegebenenfalls Kritik an Politikern ist in der Demokratie nicht
nur berechtigt, sondern unerlässlich. (Rita Süssmuth)
Gebt
mir die Kontrolle über die Währung einer Nation, und es ist mir gleichgültig,
wer die Gesetze macht. (Amschel Meyer Rothschild)
Polizei:
bewaffnete Einheit für Schutz und Gewinnbeteiligung. (Ambrose Gwinnet Bierce)
Nur
dem friedlichen Bürger gebührt vonseiten der Gesellschaft Schutz. (Georg
Büchner)
Geschützte
Erziehungsräume gewähren leider auch Schutz vor kritischem Geist. (Reiner
Klüting)
Der
Staat ist eine kluge Veranstaltung zum Schutz der Individuen gegeneinander.
(Friedrich Wilhelm Nietzsche)
Wirkliche
Bescheidenheit und Anspruchslosigkeit sind der wahre Schutz gegen die
Kränkungen und Zurücksetzungen in der großen Welt. (Helmuth Graf von Moltke)
Da es
in jeder Republik mächtige Männer und ohnmächtiges Volk gibt, kann man
zweifeln, in wessen Hände man am besten den Schutz der Freiheit legen soll.
(Niccolo Machiavelli)
Wer
nicht mitarbeiten will an dem Staat zu seinem Schutz, der gehört nicht zum
Staat, der hat keine Rechte an den Staat; er soll weichen aus dem Staat. (Fürst
von Bismarck)
Strafprozeßordnung (StPO)
§ 100a Telekommunikationsüberwachung
(1) Auch
ohne Wissen der Betroffenen darf die Telekommunikation überwacht und
aufgezeichnet werden, wenn
1. bestimmte
Tatsachen den Verdacht begründen, dass jemand als Täter oder Teilnehmer eine in
Absatz 2 bezeichnete schwere Straftat begangen, in Fällen, in denen der Versuch
strafbar ist, zu begehen versucht, oder durch eine Straftat vorbereitet hat, 2.
die Tat auch im Einzelfall schwer wiegt und 3. die Erforschung des Sachverhalts
oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Beschuldigten auf andere Weise
wesentlich erschwert oder aussichtslos wäre.
(2)
Schwere Straftaten im Sinne des Absatzes 1 Nr. 1 sind: Straftaten des
Friedensverrats, des Hochverrats und der Gefährdung des demokratischen
Rechtsstaates sowie des Landesverrats und der Gefährdung der äußeren Sicherheit
b) Bestechlichkeit und Bestechung von Mandatsträgern c) Straftaten gegen die
Landesverteidigung d) Straftaten gegen die öffentliche Ordnung e) Geld- und
Wertzeichenfälschung f) Straftaten gegen
die sexuelle Selbstbestimmung g) Verbreitung, Erwerb und Besitz kinder- und
jugendpornographischer Schriften h) Mord und Totschlag i) Straftaten gegen die
persönliche Freiheit j) Bandendiebstahl k)
Straftaten des Raubes und der Erpressung l) gewerbsmäßige Hehlerei, Bandenhehlerei und
gewerbsmäßige Bandenhehlerei m) Geldwäsche
und Verschleierung unrechtmäßig erlangter Vermögenswerte ausgeschlossen ist,
jedoch nur dann, wenn der Gegenstand aus einer der in den Nummern 1 bis 11
genannten schweren Straftaten herrührt n) Betrug und Computerbetrug Subventionsbetrug p) Straftaten der Urkundenfälschung q) Bankrott
Straftaten
gegen den Wettbewerb s) gemeingefährliche t) Bestechlichkeit und Bestechung a) Steuerhinterziehung b) gewerbsmäßiger, gewaltsamer und
bandenmäßiger Schmuggel c) Steuerhehlerei
(3) Die
Anordnung darf sich nur gegen den Beschuldigten oder gegen Personen richten,
von denen auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass sie für den
Beschuldigten bestimmte oder von ihm herrührende Mitteilungen entgegennehmen
oder weitergeben oder dass der Beschuldigte ihren Anschluss benutzt.
(4)
Liegen tatsächliche Anhaltspunkte für die Annahme vor, dass durch eine Maßnahme
nach Absatz 1 allein Erkenntnisse aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung
erlangt würden, ist die Maßnahme unzulässig. Erkenntnisse aus dem Kernbereich
privater Lebensgestaltung, die durch eine Maßnahme nach Absatz 1 erlangt
wurden, dürfen nicht verwertet werden. Aufzeichnungen hierüber sind
unverzüglich zu löschen. Die Tatsache ihrer Erlangung und Löschung ist
aktenkundig zu machen.
Strafprozeßordnung (StPO)
§ 100b Verfahren bei der Telekommunikationsüberwachung
(1)
Maßnahmen nach § 100a dürfen nur auf Antrag der Staatsanwaltschaft durch das
Gericht angeordnet werden. Bei Gefahr im Verzug kann die Anordnung auch durch
die Staatsanwaltschaft getroffen werden. Soweit die Anordnung der
Staatsanwaltschaft nicht binnen drei Werktagen von dem Gericht bestätigt wird,
tritt sie außer Kraft. Die Anordnung ist auf höchstens drei Monate zu
befristen. Eine Verlängerung um jeweils nicht mehr als drei Monate ist
zulässig, soweit die Voraussetzungen der Anordnung unter Berücksichtigung der
gewonnenen Ermittlungsergebnisse fortbestehen
DenkMal!
Philosophisches Café am 03.03.2017 Thema: Wohnen in seiner
sozialen Dimension
Dass der Mensch beim Wohnen in eine intensive Beziehung zur
Umwelt tritt, was ihn prägt und was sein Leben mitbestimmt, ist den Wohnenden
im Allgemeinen nicht bewusst, denn im Alltag ist das Wohnen nichts
Spektakuläres, das besondere Aufmerksamkeit verdienen würde. (Antje Flade)
Von Anbeginn an wurde somit Wohnen mit Verweilen und Bleiben
und mit Behaglichkeit und Geruhsamkeit in Verbindung gebracht. Das Bleiben an
einem Ort deutet auf eine besonders enge Beziehung zu diesem Ort hin. (Antje
Flade)
Wenn Menschen nur ungern mit dem Rücken zur Tür, sondern
lieber mit dem Rücken zur Wand sitzen, von der aus sie den Eingang überblicken
können, dann lässt sich das problemlos mit dem Bedürfnis nach territorialer
Kontrolle erklären. (Antje Flade)
Da die Formen des Bauens und Wohnens immer auch kulturelle
Äußerungen sind, ist evident, dass es negative Folgen haben muss, wenn
Minoritäten mit ihrer Kultur nicht übereinstimmende Wohnformen aufgezwungen
werden. Es wird dadurch nicht nur die Ausübung der kulturtypischen Aktivität
behindert, sondern es werden auch die sozialen und persönlichen Normen
verletzt. (Antje Flade)
Das Ergebnis von Festinger et al. (1950), dass die
nachbarschaftlichen Beziehungen von der architektonischen Gestaltung der
Wohnumwelt beeinflusst werden, wurde bestätigt. (Antje Flade)
Der häufigste Grund
für Konflikte ist der von den Nachbarn herrührende Lärm. […] Ansonsten
sahen sich die Befragten eher als Opfer und weniger als Verursacher des Lärms.
Die Unterschätzung des eigenen Lärms rührt daher, dass sich Menschen der
Wirkung des selbstverursachten Lärms nur selten bewusst sind. (Antje Flade)
Ganz anders gestaltet sich der Alltag bei Bewohnern, durch
deren Wohnstraße nur ab und zu einmal ein Auto fährt. Sie betrachten den
Straßenraum als zu ihrer Wohnumwelt zugehörig. (Antja Flade)
Wer etwas zerstört, gewinnt Kontrolle darüber. Um solchen
destruktiven Formen der Aneignung vorzubeugen, empfiehlt es sich, Wohnumwelten
von vornherein so anzulegen, dass Spielräume für sozial und gesellschaftlich
akzeptierte Formen der Aneignung bleiben. (Antje Flade)
Der Raum besitzt eine symbolische Funktion. Der Mensch
reagiert auf seine physische Umwelt nicht unmittelbar, da die Objekte erst über
einen Symbolisierungsprozess in seine soziale Welt übertragen und damit zum Bezugspunkt
des Menschen werden. (Rudolf Miller)
Wohnen ist ein Verfügen über Atmosphärisches, sofern dem
Verfügen durch die Umfriedung ein Spielraum gewährt wird; daher ist die Wohnung
ein geschützter Raum, in dem der Mensch dank der filternden Umfriedung in
gewissem Maß Gelegenheit hat, sich mit den reinen Stimmungen und den
abgründigen Erregungen zu arrangieren, indem er sie in einer Hinsicht züchtet,
in einer anderen dämpft und so im günstigen Fall für ein schonendes, aber auch
intensives und nuancenreiches Klima der Gefühls sorgt. (Hermann Schmitz)
Literatur: Antje Fladen, 2006. Wohnen psychologisch betrachtet. Bern:
Hans Huber
Rudolf Miller, 1986. Einführung in die Ökologische
Psychologie. Opladen: Leske + Buderich
Hermann Schmitz, 2009. Der Leib, der Raum und die Gefühle.
Bielefeld und Basel: Edition Sirius
Café DenkMal Philosophisches Café am 3. Februar 2017Thema: Glück und Architektur
Keene stellt fest, dass sich das japanische
Schönheitsverständnis seit Langem deutlich von jenem des Westens unterscheidet:
Es wird geprägt von der Liebe zum Unregelmäßigen statt zum Symmetrischen, zum
Vergänglichen statt zum Ewigen, zum Schlichten, statt zum Prunkvollen. Die
Ursache hierfür hat mit Klima oder Genetik nichts zu tun, erklärt Keene,
sondern ist in den Bemühungen der Schriftsteller, Maler und Theoretiker zu
suchen, die aktiv das Schönheitsbewusstsein ihrer Nation formten.
Es gibt kaum eine schwerwiegendere Anlage gegen die
Architektur als jene Trauer, die uns beim Nahen der Bulldozer erfasst, denn
fast immer wird unser Kummer von der Abneigung gegen das geschürt, was gebaut
werden soll, nicht aber von dem Widerwillen gegen den Gedanken an das Bauen
selbst.
Schöne Häuser scheitern nicht nur als Garanten des Glücks,
sie müssen sich auch vorwerfen lassen, dass es ihnen durchaus nicht immer
gelingt, den Charakter ihrer Bewohner zu verbessern.
Erst im Dialog mit dem Schmerz gewinnen viele schöne Dinge
ihre Bedeutung. Kummer gekannt zu haben zählt zu den eher ungewöhnlichen Voraussetzungen,
die nötig sind, um Architektur schätzen zu können. Vielleicht müssen wir, von
allen anderen Voraussetzungen einmal abgesehen, ein wenig traurig gewesen sein,
ehe uns Gebäude zu rühren vermögen.
Ihrem Wesen nach reden Werke der Kunst und Architektur von
jener Lebensart, die sich im idealen Fall in ihnen und um sie herum entfalten
sollte. Sie erzählen von den Stimmungen, die sie in ihren Bewohnern wecken oder
verstärken wollen.
Die Dinge, die wir schön nennen, sind Spielarten der
Menschen, die wir lieben.
In unseren Schlafzimmern suchen wir Andeutungen von Frieden,
Metaphern für Großmut und Harmonie in
unseren Sesseln und einen Hauch Ehrlichkeit und Freigiebigkeit in unseren
Wasserhähnen. Eine Säule, die anmutig ihre Last trägt, kann uns tief berühren,
aber auch ausgetretene Steinstufen, die Weisheit erahnen lassen, oder eine
gregorianische Haustür, deren Lünette ebenso Taktgefühl wie Verspieltheit
beweist.
Ein architektonisches Werk oder einen Entwurf schön zu
nennen heißt, darin eine Darstellung von Werten zu erkennen, die für unser
Wohlergehen unabdingbar sind, eine Verkörperung individueller Ideale durch ein
stoffliches Medium.
Dafür ehren wir jene Orte mit dem Wort „Zuhause“, deren
Äußeres uns entspricht und uns legitimiert.
An schönen Orten zu verweilen, hielt man nicht für maßlosen
Luxus, sondern man sah hierin eine unabdingbare Voraussetzung für das
Bestreben, ein guter Mensch zu werden.
Im tiefsten Inneren wünschen wir uns, jene Gegenstände und
Orte, deren Schönheit uns berührt, nicht bloß zu besitzen, sondern ihnen
ähnlich zu werden.
Literatur: Alain
de Botton, 2008. Glück und Architektur.
Von der Kunst, daheim zu Hause zu sein. Frankfurt am Main: S. Fischer
Verlag
DenkMal! Philosophisches Café am 06. Januar 2017
Thema: Atmosphäre
Der Mensch soll seine Atmosphäre immer mitbringen. (Christian
Friedrich Hebbel)
Das Genie kann nur in einer Atmosphäre der Freiheit frei
atmen. (John Stuart Mill)
In einer Atmosphäre von Feindschaft lässt sich leben; Mangel
an Wohlwollen ist schlimmere Luft. (Arthur Schnitzler)
Ein guter Mensch verbreitet eine Atmosphäre des Glücks, die
allen zugutekommt, die um ihn sind. (Paolo Mantegazza)
Die Bedrückende Atmosphäre durch laut erhobene Stimmen im
Raum wird spontan gebremst, wenn jemand plötzlich flüstert. (Christa Schyboll)
Es sind nicht die Scheinwerfer, sondern die vielen kleinen
Glanzlichter, die unserem Alltag Atmosphäre verleihen können. (Helmut Glaßl)
Zu jeder Zeit liegen einige große Wahrheiten in der Luft; sie
bilden die geistige Atmosphäre des Jahrhunderts. (Marie Freifrau von
Ebner-Eschenbach)
Wer zum Glück der Welt beitragen möchte, der sorge zunächst
einmal für eine glückliche Atmosphäre in seinem eigenen Haus. (Albert
Schweitzer)
Eine hübsche, gewandte Frau gleicht einer Atmosphäre, in der
die Spannung der Nerven sich löst und alle Gefühle milder werden. (Honoré de
Balzac)
Stets wird es die Politik sein, von der die Atmosphäre eines
Landes bestimmt wird, nicht Wissenschaft und Kunst. (Arthur Schnitzler)
Nur, wenn du du selbst sein darfst, fühlst du dich geborgen.
In einer Atmosphäre gesteigerter Kritik spürst du Enge – Gefangensein. (Irina
Rauthmann)
Die Aufgabe des Künstlers besteht darin, das darzustellen,
was sich zwischen dem Objekt und dem Künstler befindet, nämlich die Schönheit
der Atmosphäre. (Claude Monet)
Wir schaffen uns die Atmosphäre, in der wir leben; denn
welcher Art unsere Gedanken sind, die wir ausschicken, derart sind die, welche
zu uns zurückkommen. (Friedrich Clemens Gerke)
Die reinigende Kraft der Wahrheit ist so groß, dass schon das
Streben nach ihr ringsum eine bessere Luft verbreitet, die zerstörende Kraft
der Lüge so furchtbar, dass schon die Neigung zu ihr die Atmosphäre vergiftet.
(Arthur Schnitzler)
Wir wandeln alle in Geheimnissen. Wir sind von einer
Atmosphäre umgeben, von der wir noch gar nicht wissen, was sich alles in ihr
regt und wie es mit unserm Geiste in Verbindung steht. (Johann Wolfgang von
Goethe)
Niemals ist es das Problem, das du gewählt, niemals der Geist,
mit dem du es behandelt, was dein Werk in die Zukunft tragen wird; immer sind
es nur die Gestalten, die du gebildet und die Atmosphäre, die du rings um sie
geschaffen hast. (Arthur Schnitzler)